Ich bin mittlerweile seit 20 Jahren Unternehmer und habe so ziemlich alle Höhen und Tiefen durchgemacht. Auch wenn es meist nicht leicht war, Unternehmer zu sein, so kann ich sagen, dass mein Unternehmen mir immer Freiheit gegeben hat, so dass ich vor den Versuchen anderer, mich auszubeuten, teilweise geschützt wurde. Ich habe viel erlebt und durfte viele wertvolle Erfahrungen machen, die mir zur Zeit helfen, eine Produktion für Essig aus Honigwein aufzubauen.
Eine Sache, die ich über die Jahre gesehen habe, ist aber ganz wichtig: Wenn man sich als Unternehmer in die Projekte Anderer einklinkt, ist man NICHT frei. Man bekommt lediglich die Krümel ab, die vom Tisch fallen. Meist wird man ausgenutzt und ist voll und ganz abhängig vom Auftraggeber. Will man als Unternehmer wirklich frei sein, muss man eigene Projekte aufbauen, die im besten Fall relativ nah an der Urproduktion dran sind und sich möglichst an viele Kunden aus der Gruppe der ganz normalen Menschen wenden. Es sind die vielen Millionen ganz normale Menschen, die die besten Kunden sind und die glücklich sind, wenn sie ein gutes und nützliches Produkt kaufen können, das ihr Leben verbessert. Hat man Kunden aus dem Milieu der Reichen Menschen, so klinkt man sich wieder in deren Projekte ein und man ist wieder nicht frei. Meiner Erfahrung nach gilt, dass man nur dann als Unternehmer frei ist, wenn man erstens ohne Kredite klein anfängt und dann eigene Ressourcen aufbaut, die möglichst vielen Menschen nutzen. Wichtig ist dabei, dass das eigene Unternehmen nicht allein an der eigenen Arbeitskraft hängt. Wenn ein Unternehmer zum Beispiel als Handwerker in Handarbeit Möbel herstellt, muss er doppelt so viel arbeiten, wenn er doppelt so viele Möbel herstellen will. Die Menge an Möbeln, die er herstellen kann, ist begrenzt und mit zunehmenden Alter wird die Arbeit nicht leichter.
Ein Unternehmer, der zum Beispiel Joghurt herstellt, muss lediglich den Reaktor für die Milchsäuregärung doppelt so groß machen, um doppelt so viel Joghurt herzustellen. Bakterien übernehmen die Arbeit für ihn. Deshalb sollte ein Unternehmer darauf achten, dass er von Anfang an den Produktionsprozess automatisiert, um nicht, eingeschränkt durch die eigene Leistungsfähigkeit, an der Grenze zur Armut leben zu müssen. Da die Arbeit von einer automatischen Anlage übernommen wird, ist sie auch noch in hohem Alter machbar.
Die Arbeit sollte etwas sein, was dem Leben einen Sinn gibt. In der japanischen Philosophie finden sich hierzu ein paar interessante Gedanken, die ich im Folgenden erläutern möchte. Das japanische Wort für dieses philosophische Konzept heißt „Ikgai„. Dabei werden vier Aspekte der Arbeit betrachtet, die im Idealfall alle erfüllt sein sollten:
- Ich kann meine Tätigkeit sehr gut.
- Ich liebe meine Tätigkeit.
- Die Welt braucht das, was ich tu.
- Ich werde bezahlt für das, was ich tu.
Dieser Denkansatz ist meiner Erfahrung sehr hilfreich bei der Suche nach einem guten Unternehmenskonzept, das zu Selbstbestimmung und Zufriedenheit führt. Ich musste erkennen, dass ich eine sehr lange Zeit mit meiner unternehmerischen Tätigkeit unzufrieden war. Ich bin zwar ein fähiger Ingenieur, ich liebe meinen Beruf, aber die Welt braucht nicht zwingend Ingenieure und bezahlt wird man meist schlecht. Man ist Abhängig von wenigen reichen Auftraggebern und ist deren Machtspielen ausgeliefert. Das machte mich unzufrieden. Gleichzeitig sah ich die Imkerei meiner Frau, bei der ich ihr assistierte. Dort wurden wir beide immer besser, wir lieben unsere Tätigkeit mit den Bienen. Honig wird immer gebraucht und die Leute freuen sich über den Honig und kaufen ihn. Meine Frau zeigte mir am praktischen Beispiel, das es auch anders und gut laufen kann. Ich musste umdenken.
Ich wechselte mein Tätigkeitsfeld, ohne meinen Beruf als Ingenieur völlig aufzugeben. Ich baute aus den Bauteilen vergangener Projekte, die verstaubt in meinen Regalen lagen, eine automatische Anlage zusammen die aus Honigwein einen sehr guten Essig herstellen kann. Der Honigwein reift seit drei Monaten und ist bereit für die weitere Verarbeitung. Ich möchte gut darin werden, Qualitätsessig herzustellen. Spaß macht mir die Arbeit sowieso, weil ich mich als Ingenieur in der Anlagentechnik austoben kann. Meine Frau hat die Möglichkeit, den Essig zu verkaufen. Essig ist gesund, schmeckt gut und als Lebensmittel wird er gekauft, wenn er gut ist. Wenn der Verkauf von Essig in den Markt hineinwächst, bin ich nicht mehr von wenigen reichen Kunden oder windigen Startup-Unternehmen abhängig, sondern kann mein eigenes Leben endlich wieder selbst in die Hand nehmen. – 生き甲斐 Ikigai – Das bedeutet frei übersetzt: „Das, wofür es sich zu leben lohnt.“
Ich denke zudem, dass eine sinnstiftende Tätigkeit die beste Altersvorsorge ist, denn ich habe bei meinen zahlreichen Krankenhausaufenthalten der letzten Jahre gezeigt bekommen, was mit mit alten Menschen passiert, die zwar eine gute Rente haben, aber letztendlich auf dem Abstellgleis an der Endstation des Lebens warten. Viele dieser Menschen waren ihr Leben lang angestellt und haben nun keinen Chef, der ihnen Struktur in den Alltag bringt. Was ich da gesehen habe, war traurig. Deshalb sehe ich die Fähigkeit zur Selbstbestimmung als eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Mensch in jungen Jahren kultivieren kann. Es lohnt sich.